6.Erweiterung der Begriffe auf die ganzen Zahlen

In der Zahlentheorie ist es an vielen Stellen nützlich, nicht nur die natürlichen Zahlen

0,  1,  2,  3,  4,  …

sondern allgemeiner die ganzen Zahlen

…,  −4,  −3,  −2,  −1,  0,  1,  2,  3,  4,  …

zu betrachten. Dies ist besonders dann von Vorteil, wenn wir zwei Zahlen subtrahieren möchten. In den ganzen Zahlen können wir immer die Differenz a − b bilden, in den natürlichen Zahlen ist a − b dagegen nur dann definiert, wenn b ≤ a gilt. Das Gleiche könnte man für die Division zweier Zahlen und die rationalen Zahlen sagen, die eine freie Division der Form a/b für b ≠ 0 erlauben. Es zeigt sich aber, dass die ganzen Zahlen für viele Fragen der elementaren Zahlentheorie der geeignete weder zu kleine noch zu große Rahmen sind. Später werden auch die rationalen, reellen und sogar die komplexen Zahlen verwendet, um die natürlichen Zahlen und speziell die Verteilung der Primzahlen zu untersuchen. Der verwendete Rahmen hängt von den Zielen ab. Vorerst genügen die ganzen Zahlen.

 Wir führen eine Erweiterung der Definitionen durch, indem wir unsere Begriffsbildungen von den natürlichen Zahlen  zu den ganzen Zahlen  „liften“. Am Anfang steht die Teilbarkeit:

Definition (Teiler, Vielfaches in den ganzen Zahlen)

Seien a, b ganze Zahlen. Dann heißt a ein Teiler von b, falls es eine ganze Zahl d gibt mit a · d = b. In Zeichen schreiben wir a|b [ gelesen: a teilt b ]. Ist a ein Teiler von b, so nennen wir b ein Vielfaches von a.

 Diese Definition unterscheidet sich von der Definition der Teilbarkeit in den natürlichen Zahlen lediglich durch den Zahlbereich, dem unsere Objekte entnommen sind. Die Objekte a, b, d sind nun ganze Zahlen. Die neue Definition setzt die alte fort: Es wird kein zur Teilbarkeit auf den natürlichen Zahlen in Konkurrenz tretender Teilbarkeitsbegriff für ganze Zahlen eingeführt. Wir müssen unseren Horizont erweitern, aber nicht umlernen.

Beispiele

(1)

Nach wie vor gilt 4|12 und 1|1.

(2)

Neu sind −4|12, 4|−12, −1|−1 usw.

(3)

Die ganzzahligen Vielfachen der Zahl 5 sind nun die Zahlen

…, −15,  −10,  −5,  0,  5,  10,  15,  …

 Die Definition einer Primzahl wird unverändert übernommen:

Definition (Primzahl, zusammengesetzte Zahl)

Sei n eine ganze Zahl mit n ≥ 2. Dann heißt n eine Primzahl, falls es keinen Teiler d von n gibt mit 1 < d < n. Andernfalls heißt n eine zusammengesetzte Zahl.

 Natürlich könnten wir auch negative Primzahlen wie −5 und negative zusammengesetzte Zahlen wie −10 betrachten. Sowohl aus historischen als auch aus inhaltlichen Gründen ist dies aber nicht üblich.

 Aus der Schule bekannt sind der größte gemeinsame Teiler und das kleinste gemeinsame Vielfache. Wir können sie allgemein für je zwei ganze Zahlen einführen:

Definition (größter gemeinsamer Teiler, teilerfremd, relativ prim)

Seien a, b ganze Zahlen, die nicht beide 0 sind. Dann setzen wir

ggT(a, b)  =  „die größte Zahl d ≥ 1 mit d | a und d | b“.

Weiter setzen wir ggT(0, 0) = 0. Die Zahl ggT(a, b) heißt der größte gemeinsame Teiler von a und b. Zwei ganze Zahlen a und b heißen teilerfremd oder relativ prim, falls ggT(a, b) = 1.

 In der Zahlentheorie wird statt ggT(a, b) oft auch kurz (a, b) geschrieben, sofern keine Verwechslung mit dem geordneten Paar der Zahlen a und b zu befürchten ist.

Beispiele

(1)

ggT(5, 10)  =  5,  ggT(6, 15)  =  3.

(2)

ggT(−14, 21)  =  ggT(14, −21)  =  ggT(−14, −21)  =  ggT(14, 21)  =  7.

(3)

ggT(0, 12)  =  12  (da 12|0 und 12|12).

Definition (kleinstes gemeinsames Vielfaches)

Seien a, b ganze von 0 verschiedene Zahlen. Dann setzen wir

kgV(a, b)  =  „das kleinste c ≥ 1 mit a | c und b | c“.

Weiter setzen wir kgV(0, a) = kgV(a, 0) = 0 für alle ganzen Zahlen a. Die Zahl kgV(a, b) heißt das kleinste gemeinsame Vielfache von a und b.

 Neben kgV(a, b) ist auch die Notation [ a, b ] üblich.

 Unsere Definitionen lassen die 0 zu, sodass ggT(a, b) und kgV(a, b) für alle ganzen Zahlen a, b erklärt ist. In einigen Lehrbüchern der Zahlentheorie wird die Null ausgeschlossen, was kein großer Verlust ist.

Beispiele

(1)

kgV(5, 10)  =  10,  kgV(6, 15)  =  30.

(2)

ggT(5, 10) · kgV(5, 10)  =  5 · 10  =  50, 

ggT(6, 15) · kgV(6, 15)  =  3 · 30  =  90  =  6 · 15.

Die Beispiele bringen einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen ggT, kgV und Produkt ans Licht. Wir gelangen durch Experimentieren zur Hypothese:

Für alle natürlichen Zahlen n, m gilt: ggT(n, m) · kgV(n, m) = n · m.

Diese Hypothese ist richtig (und damit ein Satz). Sie lässt sich zum Beispiel mit Hilfe der Primfaktorzerlegung beweisen.

 Ein Paradebeispiel für eine zahlentheoretische Definition, die wesentlich die freie Subtraktion in den ganzen Zahlen verwendet, ist:

Definition (Linearkombination)

Seien a, b, c ganze Zahlen. Dann heißt c eine Linearkombination von a und b, falls es ganze Zahlen λ, μ gibt mit c = λ a + μ b.

 Wir betrachten wieder einige Beispiele zur Illustration.

Beispiele

Seien a = 12 und b = 15. Dann sind

1 · 12  +  1 · 15  =  27,

2 · 12  −  2 · 15  =  −6,

−2 · 12  +  2 · 15  =  6,

−1 · 12  +  1 · 15  =  3

0 · 12  +  0 · 15  =  0

Linearkombinationen von a und b.

Durch spielerisches Experimentieren können wir hier entdecken, dass genau die Zahlen

…,  −9,  −6,  3,  0,  3,  6,  9,  …

als Linearkombinationen von 12 und 15 auftauchen, also die ganzzahligen Vielfachen von 3 = ggT(12, 15). Dies führt zum Satz von Bezout, den wir bei der Diskussion der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung besprechen werden.