Isometrien und lineare Abbildungen

 Die erste Entdeckung bei der Untersuchung der möglichen Isometrien in den Euklidischen Räumen n ist ihr Zusammenhang mit linearen Abbildungen. Bekanntlich heißt f : n  n linear, falls für alle x, y   ∈  n und alle α, β  ∈   gilt, dass f(α x  +  β y)  =  α f (x)  +  β f (y). Direkt aus der Definition folgt, dass eine lineare Abbildung f : n  n jede Gerade G = { x + α y | α  ∈   } im n in eine Gerade f ″G = { f (x) + α f (y) | α  ∈   } überführt.

 Für lineare Abbildungen f gilt immer f (0) = 0, was für Isometrien im Allgemeinen falsch ist. Andererseits ist die lineare Abbildung f :    mit f (x) = 2x sicher keine Isometrie. Besteht auch kein Inklusionsverhältnis zwischen Isometrien und linearen Abbildungen, so genügen doch die linearen Abbildungen im Wesentlichen zur Beschreibung aller Isometrien. Zunächst gilt:

Satz (längen- und winkeltreue Abbildungen sind linear)

Sei f : n  n längen- und winkeltreu, d. h. für alle x, y  ∈  n gelte ∥f (x)∥ = ∥x∥ und w(f (x), f (y)) = w(x, y).

Dann ist f linear.

Beweis

Sei x  ∈  n und sei α  ∈  . Dann gilt:

(+)  f (αx)  =  α f (x).

Beweis von (+)

Die Aussage ist klar für α = 0 oder x = 0 wegen f (0) = 0.

Seien also x ≠ 0 und α ≠ 0. Wegen f winkeltreu ist

w(f(x),f(αx))=0falls α>0,πsonst.

Aber ∥f (αx)∥ = ∥α x∥ = |α|∥x∥ = |α|∥f (x)∥.

Ist α > 0, so ist also f (αx) = |α| f (x) = α f (x), da w(f (x), f (αx)) = 0.

Ist α < 0, so ist also f (αx) = − |α| f (x) = α f (x), da w(f (x), f (αx)) = π.

Seien nun x, y  ∈  n. Dann gilt:

(++)  f(x + y)  =  f (x)  +  f (y).

Beweis von (++)

Die Aussage ist klar für x = 0 oder y = 0. Seien also x, y ≠ 0.

Die Punkte 0, x, x + y, y bilden ein Parallelogramm im n.

Aus der Längen- und Winkeltreue von f folgt elementar, dass auch die Punkte 0, f (x), f(x + y), f (y) ein Parallelogramm bilden.

Dann ist f(x + y) = f (x) + f (y), denn in Parallelogrammen im n mit Ecken 0, a, c, b gilt c = a + b für die der 0 gegenüberliegende Ecke c.

Aus (+) und (++) ergibt sich die Linearität von f.

Übung

Es gibt eine winkeltreue stetige Bijektion f im 2 mit f (0) = 0 und ein Parallelogramm 0, a, c, b mit c = a + b derart, dass 0, f (a), f (c), f (b) kein Parallelogramm ist.

 Aus dem Satz erhalten wir:

Korollar (Isometrien, die den Nullpunkt festhalten, sind linear)

Sei f eine Isometrie im n mit f (0) = 0. Dann ist f linear.

Beweis

Als Isometrie ist f winkeltreu. Wegen f (0) = 0 gilt für alle x  ∈  n:

∥f (x)∥  =  d(f (x), 0)  =  d(f (x), f (0))  =  d(x, 0)  =  ∥x∥.

Also ist f auch längentreu, und nach dem Satz also linear.

 Aus der Linearität einer Isometrie gewinnen wir nun leicht:

Satz (Fundamentalsatz über Isometrien im n)

Sei f eine Isometrie im n. Dann existiert eine lineare Abbildung g  : n  n und ein z  ∈  n mit:

f (x)  =  g(x)  +  z  für alle x  ∈  n.

g und z sind hierbei eindeutig bestimmt.

Weiter ist g eine Isometrie im n.

Beweis

Wir setzen z = f (0) und definieren g : n  n durch

g(x)  =  f (x) − z  für x  ∈  n.

Dann ist g eine Isometrie und es gilt g(0) = 0.

Nach dem Korollar oben ist g linear. Damit sind offenbar g und z wie gewünscht. Die Eindeutigkeit ist klar.

 Der Fundamentalsatz rechtfertigt die Einführung einer eigenen Notation für Translationen.

Definition (Translation, trz, Trn)

Sei z  ∈  n. Dann definieren wir trz : n  n durch

trz(x)  =  x  +  z  für alle x  ∈  n.

Die Funktion trz heißt die Translation um z (im n).

Wir setzen Trn = { trz | z  ∈  n }.

 Wir halten fest, dass die Surjektivität einer Isometrie für den Beweis des Hauptsatzes nicht gebraucht wird. Damit erhalten wir durch Rückgriff auf ein nichttriviales Resultat der linearen Algebra die Antwort auf die obige Frage:

Korollar (abstandstreue Abbildungen sind Isometrien)

Sei f : n  n abstandstreu, d. h. es gelte d(f (x), f (y)) = d(x, y) für alle x, y  ∈  n.

Dann ist f eine Isometrie.

Beweis

Der obige Beweis zeigt, dass f = trz ∘ g für ein z  ∈  n und eine lineare Abbildung g gilt.

Ist f (x) = f (y) für x, y  ∈  n, so ist d(x, y) = d(f (x), f (y)) = 0, also x = y.

Also ist f injektiv. Wegen f injektiv ist auch g injektiv, und als lineare Abbildung damit automatisch auch bijektiv. Also ist auch f bijektiv.

 Damit können wir nun verschiedene nützliche Charakterisierungen von Isometrien geben, die den Nullpunkt festhalten:

Satz (Charakterisierungen der Isometrien f mit f (0) = 0)

Sei f : n  n. Dann sind äquivalent:

(i)

f ist eine Isometrie mit f (0) = 0.

(ii)

f ist linear und längentreu.

(iii)

f ist längentreu und winkeltreu.

(iv)

f erhält das Skalarprodukt, d. h. 〈 f (x), f (y) 〉 = 〈 x, y 〉 für alle x, y  ∈  n.

Beweis

zu (i)  (iv):  Hatten wir oben als Zusatz zur Winkeltreue einer Isometrie mit f (0) = 0 vermerkt.

zu (iv)  (iii):  Für alle x  ∈  n gilt

∥x∥2  =  〈 x, x 〉  =  〈 f (x), f (x) 〉  =  ∥f (x)∥2.

Also ist f längentreu.

Für alle x, y  ∈  n ist 〈 x, y 〉 ∥y∥ = 〈 f (x), f (y) 〉 ∥f (y)∥. Dies ist elementargeometrisch nur möglich, falls w(x, y) = w(f (x), f (y)).

(Alternativ: cosinus-Formel für w(x, y).)

zu (iii)  (ii):  Nach dem Satz oben sind längen- und winkeltreue f linear.

zu (ii)  (i):  Es gilt f (0) = 0 wegen ∥f (0)∥ = ∥0∥ = 0.

Weiter gilt für alle x, y  ∈  n:

d(x, y)  =  ∥x − y∥  =  ∥f(x − y)∥  =  ∥f (x) − f (y)∥  =  d(f (x), f (y)).

Also ist f abstandstreu und damit eine Isometrie nach dem Korollar oben.

 Für den linearen Anteil einer Isometrie verwenden wir einige Begriffe der Matrizentheorie. Bekanntlich kann eine lineare Abbildung f : n  n bzgl. einer festgewählten Basis des Vektorraumes n als (n × n)-Matrix dargestellt werden.

 Für n  ∈   sei Matn die Menge der (n × n)-Matrizen über . Für A  ∈  Matn sei det(A) die Determinante von A. Weiter sei At die transponierte Matrix von A, d. h. At ist die an der Hauptdiagonalen gespiegelte Matrix A. (Für n = 0 besteht Mat0 nur aus der leeren Matrix; diese hat Determinante 1.)

 Ist f : n  n linear, so sei Af die f darstellende Matrix bzgl. der kanonischen Basis { (1, 0, …), (0, 1, 0, …), …, (0, …, 0, 1) }, d. h. in den Spalten von Af stehen die Bilder der kanonischen Einheitsvektoren unter f. Ist umgekehrt A  ∈  Matn, so sei fA die lineare Abbildung mit fA(x) = Ax für alle x  ∈  n. Ist f : n  n linear, so gilt f (x) = Af x für alle x  ∈  n. Umgekehrt gilt die Gleichung AfA = A für alle A  ∈  Matn.

 Eigenschaften von linearen Abbildungen lassen sich nun in Eigenschaften von Matrizen übersetzen und umgekehrt. Einige Entsprechungen sind etwa:

(a)

Die Komposition linearer Abbildungen entspricht der Multiplikation von Matrizen, d. h. für lineare f, g auf dem n gilt Af ∘ g = Af Ag.

(b)

Für ein lineares f gilt:  f injektiv  gdw  f surjektiv  gdw  f bijektiv gdw Af invertierbar  gdw  det(Af) ≠ 0.

In diesem Fall gilt dann Af −1 = (Af)−1 und det(Af −1) = 1/det(Af).

 Für unsere Untersuchungen ist folgender Satz von besonderer Bedeutung, sodass wir den Beweis zur Erinnerung ausführen:

Satz

Sei f eine Isometrie mit f (0) = 0. Dann gilt Af −1 = Aft.

Folglich gilt |det(Af)| = 1.

Beweis

Sei A = Af. Die Spaltenvektoren von A sind die Bilder der kanonischen Basisvektoren unter f. Wegen f Isometrie sind die Spaltenvektoren von A also normiert und stehen senkrecht aufeinander. Nach Definition der Matrizenmultiplikation gilt also At A = E, mit der n-dimensionalen Einheitsmatrix E. Dies genügt für At = A−1.

Weiter gilt generell det(A) = det(At), also

det(A)2  =  det(A) · det(At)  =  det(A · At)  =  det(A · A−1)  =  det(E)  =  1.

Also |det(A)| = 1.

 Den Fundamentalsatz über Isometrien können wir nun so formulieren: Ist f eine Isometrie im n, so existieren eindeutig ein invertierbares A  ∈  Matn und ein z  ∈  n mit f = trz ∘ fA. Es gilt zudem A−1 = At und |det(A)| = 1.

Definition (positive und negative Isometrien, +n)

Sei f = trz ∘ fA eine Isometrie im n.

Wir nennen f positiv, falls det(A) = 1 gilt.

Gilt det(A) = − 1, so heißt f negativ. Wir setzen:

+n  =  { f  ∈  n | f ist positiv }.

 Wir berechnen noch den linearen Anteil und den Translationsanteil von Kompositionen und Umkehrabbildungen.

Satz (Darstellung der Komposition und der Inversen)

Für alle n  ∈   gilt:

(i)

Für f1 = trz1 ∘ fA1, f2 = trz2 ∘ fA2  ∈  n gilt f1 ∘ f2  =  trz1 + A1 z2 ∘ fA1 A2.

(ii)

Ist f = trz ∘ fA  ∈  n und B = A−1, so ist f −1 = tr− Bz ∘ fB.

(iii)

+n ist eine Untergruppe von n.

Beweis

zu (i):  Es gilt:

f1 ∘ f2  =  trz1 ∘ fA1 ∘ trz2 ∘ fA2  =  trz1 ∘ trA1 z2 ∘ fA1 ∘ fA2  =  trz1 + A1 z2 ∘ fA1 A2.

zu (ii):  Es gilt f −1 = fB ∘ tr− z = tr− Bz ∘ fB.

zu (iii):  Folgt aus (i) und (ii) und dem Determinantenmultiplikationssatz.

 Wir definieren noch einige spezielle Teilmengen von Matn.

Definition (die Gruppen GLn, On, SOn)

Wir setzen für alle n  ∈  :

GLn =  { A  ∈  Matn | fA ist bijektiv },
On =  { A  ∈  Matn | fA ist eine Isometrie },
SOn =  { A  ∈  Matn | fA ist eine positive Isometrie }.

 Diese Bezeichnungen sind mittlerweile allgemein üblich. „GL“ steht hierbei für „general linear group“, „O“ für „orthogonal group“, „SO“ für „special orthogonal group“.

 Die Mengen GLn, On, SOn bilden, versehen mit der Matrizenmultiplikation, jeweils eine Gruppe. Es gilt GLn ⊃ On ⊃ SOn. Die Gruppe On repräsentiert alle Isometrien, die den Nullpunkt fixieren. SOn ist weiter die Untergruppe von On aller die Orientierung erhaltenden, „spiegelungsfreien“ Isometrien. Die Matrizen in On − SOn haben alle die Determinante − 1. Wegen des Determinantenmultiplikationssatzes ist die Multiplikation zweier Elemente von On − SOn immer ein Element von SOn.

 Wir berechnen nun noch einige Faktorgruppen. Zur Erinnerung: Sei G eine Gruppe, und sei H eine Untergruppe von G. H heißt eine normale Untergruppe von G, falls für alle g  ∈  G gilt, dass H g = g H, wobei H g = { h g | h  ∈  H } und g H = { g h | h  ∈  H }. Für normale Untergruppen H ist die Faktorgruppe G/H wohldefiniert als die Gruppe 〈 G/≡ , · 〉, wobei g1 ≡  g2 für g1, g2  ∈  G, falls g1 g2−1  ∈  H und g1/≡  · g2/≡   =  (g1 · g2)/≡ .

 Sind 〈 G, · 〉 und 〈 F, · 〉 Gruppen, und ist f  : G  F ein Gruppenhomomorphismus, so ist der Kern H = { g  ∈  G | f (g) = 1 } von f eine normale Untergruppe von G. Ist f surjektiv auf F, so ist die entsprechende Faktorgruppe G/H isomorph zu F.

 Der Beweis des folgenden Satzes verwendet Gruppenhomomorphismen und Kerne zur Berechnung von Faktorgruppen. Die Behauptungen schließen mit ein, dass die entsprechenden Gruppen Normalteiler sind.

Satz (isometrische Faktorgruppen)

Für alle n ≥ 1 gilt:

(i)

n/Trn ist isomorph zu On,

(ii)

+n/Trn ist isomorph zu SOn,

(iii)

n/+n und On/SOn sind isomorph zur Gruppe Z2 = { 1, − 1 }.

Beweis

Wir betrachten die Abbildungen:

g1  :  n  On  mit  g1(trz ∘ fA)  =  A  für alle trz ∘ fA  ∈  n,

g2  :  +n  SOn,  g2  =  g1|+n,

g3  :  n  Z2  mit  g3(trz ∘ fA)  =  det(A)  für alle trz ∘ fA  ∈  n,

g4  :  On  Z2  mit  g4(A)  =  det(A).

Dann sind g1, …, g4 surjektive Gruppenhomomorphismen nach dem Satz oben über die Darstellung von Kompositionen und dem Multiplikationssatz für die Determinante. Berechnung der Kerne zeigt die Behauptung.

 Statt mit g4 kann man so auch mit Hilfe des zweiten Isomorphiesatzes argumentieren: On/SOn ist nach (i) und (ii) isomorph zu (n/Trn)/(+n/Trn) und diese Faktorgruppe ist isomorph zu n/+n.

 Wir stellen noch einige nützliche Äquivalenzen über On zusammen.

Satz (Charakterisierungen von On)

Sei A  ∈  Matn. Dann sind äquivalent:

(i)

A  ∈  On, d. h. fA ist eine Isometrie.

(ii)

〈 Ax, Ay 〉  =  〈 x, y 〉 für alle x, y  ∈  n.

(iii)

A ist invertierbar und es gilt A−1 = At.

Beweis

Die Äquivalenz von (i) und (ii) haben wir oben schon gezeigt.

Weiter haben wir bereits (i)  (iii) bewiesen. Es genügt also zu zeigen:

(iii)  (ii):

Für alle x, y  ∈  n und alle B  ∈  Matn gilt 〈 x, By 〉 = 〈 Btx, y 〉 nach Definition des Skalarprodukts und der Matrizenmultiplikation.

Wegen At = A−1 gilt At A = E, also 〈 Ax, Ay 〉 = 〈 AtAx, y 〉 = 〈 x, y 〉.

 Die Bedingung A−1 = At kann man auch so ausdrücken: Die Spaltenvektoren von A bilden eine Orthonormalbasis des n (d. h. sie sind linear unabhängig, haben alle die Länge 1 und stehen paarweise senkrecht aufeinander). Dies erklärt den Namen „orthogonale Gruppe“.

 Sei A  ∈  On. Wegen der Längentreue von fA ist jeder reelle Eigenwert von A gleich 1 oder −1. Das Produkt der (komplexen) Eigenwerte λ1, …, λn von A ist gleich det(A), und damit gleich 1 oder −1. Die 1 ist genau dann Eigenwert von A, falls fA einen nichttrivialen Fixpunkt besitzt. fA bildet die Sphäre Sn − 1 bijektiv auf Sn − 1 ab, und im Falle der Existenz eines Fixpunkts gibt es also einen Fixpunkt auf der Sphäre.

Übung

Sei A  ∈  On derart, dass alle Einträge von A größergleich 0 sind.

Dann ist die Menge der Spaltenvektoren von A die Menge der kanonischen Einheitsvektoren.

 Wir kommen nun zur Klassifizierung der Isometrien für die ersten drei Dimensionen.