Integrationssätze
Besonders die starken Vertauschungssätze der Lebesgueschen Theorie haben diesem Integralbegriff zum Durchbruch verholfen. Durch die geometrische Definition erhalten wir den ersten Satz geschenkt:
Satz (Satz über die monotone Konvergenz)
Sei fn : ℝ → [ 0, ∞ ], n ∈ ℕ, eine Folge von ± ∞-integrierbaren Funktionen, die punktweise monoton wachsend gegen f : ℝ → [ 0, ∞ ] konvergiert.
Dann ist f ± ∞-integrierbar und es gilt
L(f) = limn → ∞ L(fn).
Das liest sich dann hübsch als L(limn → ∞ fn) = limn → ∞ L(fn). Der Satz findet sich in [ Levy 1906 ], wobei schwer vorstellbar ist, dass Lebesgue, der die geometrische Definition des Integrals mehrfach diskutierte, diese Konvergenzaussage fremd war.
Beweis
Die Aussage übersetzt sich in die Behauptung
λ2(⋃n ∈ ℕ An) = supn ∈ ℕ λ2(An)
für die ⊆-monotone Folge der An = A+(fn) ∈ ℒ2, n ∈ ℕ.
Diese Behauptung ist aber wegen der Abgeschlossenheit von ℒ2 unter abzählbaren Vereinigungen und der σ-Additivität von λ2 trivial.
Folglich gilt für jede Folge fn : ℝ → [ 0, ∞ ] von ± ∞-integrierbaren Funktionen auch die Vertauschungsregel L(∑n ∈ ℕ fn) = ∑n ∈ ℕ L(fn), wobei die Summe über die Funktionen punktweise gebildet wird.
Die Voraussetzung an den Wertebereich der Funktionenfolge im Satz von der monotonen Konvergenz lässt sich wie erwartet weiter abschwächen:
Übung (Satz von der monotonen Konvergenz, starke Form)
Der Satz von der monotonen Konvergenz gilt auch für ± ∞-integrierbare punktweise monoton wachsende fn : ℝ → [ ∞, − ∞ ], n ∈ ℕ, mit L(f0) > − ∞.
Analoge Sätze gelten für punktweise monoton fallende Funktionen. Der Leser wird sehen, dass der obige Beweis des Satzes von der monotonen Konvergenz auch für eine punktweise monoton gegen ein f fallende Folge von integrierbaren Funktionen fn : A → ℝ+0 übernommen werden kann, wenn der Satz herangezogen wird, dass f eine λ2-Nullmenge ist: Denn der Schnitt über die Flächenmengen A+(fn) der fn ist nun in der Regel nicht mehr A+(f), sondern eine Obermenge von A+(f), immer aber Teilmenge der erweiterten Flächenmenge A+(f) ∪ f. Ist die Folge streng monoton fallend, so ist der Schnitt identisch mit A+(f) ∪ f.
Vielfache Anwendung findet nun weiter der folgende Satz von der dominierten Konvergenz von Lebesgue (1910):
Satz (Satz von Lebesgue über die dominierte Konvergenz)
Sei A ⊆ ℝ, und sei fn : A → [ − ∞, + ∞ ] eine Folge von integrierbaren Funktionen, die punktweise gegen f : A → [ − ∞, + ∞ ] konvergiert.
Es gebe ein integrierbares g : A → [ 0, ∞ ] mit |fn| ≤ g für alle n ∈ ℕ.
Dann ist f integrierbar und es gilt L(f) = limn → ∞ L(fn).
Beweis
Für n ∈ ℕ seien
hn = infk ≥ n fk + g, h′n = supk ≥ n fk + g.
Dann sind hn, h′n : A → [ 0, ∞ ] integrierbar für alle n ∈ ℕ.
Die hn konvergieren punktweise monoton wachsend gegen f + g, und die h′n konvergieren punktweise monoton fallend gegen f + g.
Nach monotoner Konvergenz gilt dann also:
(+) limn → ∞ L(hn) = L(f + g) = limn → ∞ L(h′n).
Weiter gilt aber für alle n ∈ ℕ: hn ≤ fn + g ≤ h′n.
Nach (+) und Monotonie des Integrals ist also
limn → ∞ L(fn + g) = L(f + g),
und damit nach Linearität limn → ∞ L(fn) = L(f).
Man kann für den Beweis auf die Addition von g verzichten und mit hn = infk ≥ n fk und h′n = supk ≥ n fk arbeiten. Dann muss aber die starke Form der monotonen Konvergenz aus der Übung oben herangezogen werden. Generell haben Funktionen mit Werten in ℝ+0 ein einfaches Integral ohne negative Flächenmessung, was zu klaren Argumenten führt.
Zur Rolle der dominierenden Funktion g mit L(g) < ∞ betrachten wir etwa die Folge der Funktionen fn = ind[ n , n + 1 ]. Es gilt L(fn) = 1 für alle n, und die Folge konvergiert punktweise gegen die Nullfunktion f. Eine Vertauschung von Limesbildung und Integration ist also nicht möglich, und der Satz von Lebesgue erlaubt dies auch nicht, da die fn von keiner Funktion g mit endlichem Integral dominiert werden.
Prüfen wir, wo das Argument des Beweises für diese Folge fn, n ∈ ℕ, scheitert. Wir wählen hierzu die minimale obere Einhüllung g = ind[ 0, ∞ ] mit L(g) = ∞ als dominierende Funktion, und versuchen, den obigen Beweis durchzuführen. Für alle n ∈ ℕ erhalten wir:
hn = „die Nullfunktion auf ℝ“ + g = g, h′n = ind[ n, ∞ ] + g.
Alle Aussagen des Beweises sind richtig bis einschließlich limn → ∞ L(fn + g) = L(f + g). Wir haben 1 + ∞ = 1 + limn → ∞ L(g) = limn → ∞ L(fn + g) = L(f) + L(g) = 0 + ∞, aber es führt kein Weg zu limn → ∞ L(fn) = 0.
Ein Klassiker in der Lebesgueschen Integrationstheorie ist weiter das Lemma von Pierre Fatou (1906):
Übung (Lemma von Fatou)
Sei A ⊆ ℝ, und sei fn : A → [ 0, ∞ ], n ∈ ℕ, eine Folge von ±∞-integrierbaren Funktionen. Dann gilt:
L(limn → ∞ infk ≥ n fk) ≤ limn → ∞ infk ≥ n L(fk).
[ Anwendung des Satzes von der monotonen Konvergenz auf gn = infk ≥ n fk. ]
Das Infimum links ist wieder punktweise. Die Aussage beinhaltet wie üblich eine Integrierbarkeits-Behauptung für die Limesfunktion auf der linken Seite.
Statt der Voraussetzung der Nichtnegativität der Funktionen fn genügt, dass alle fn punktweise größergleich einer integrierbaren Funktion g sind. Aus dieser Form gewinnt man mit „limn → ∞ supk ≥ n fk = − limn → ∞ infk ≥ n − fn“ eine nützliche lim-sup-Version des Lemmas für Funktionen fn, die punktweise von einer integrierbaren Funktion dominiert werden. Es gilt dann L(limn → ∞ supk ≥ n fk) ≥ limn → ∞ supk ≥ n L(fk).
Die Folge fn : [ 0, 1 ] → ℝ+0 mit fn(x) = n für 0 < x < 1/n und f (x) = 0 sonst zeigt, dass Gleichheit im Lemma von Fatou nicht zu gelten braucht. Die Fatou-Ungleichung lautet hier „0 ≤ 1“.
Schließlich erwähnen wir ohne Beweis noch den Satz von Fubini. Wir entwickeln mit Hilfe von λ2 ein Lebesgue-Integral Lλ2(f) für Funktionen f : ℝ2 → ℝ; dies geschieht analog zur Definition des Lebesgue-Integrals L(g) = Lλ(g) für Funktionen g : ℝ → ℝ. Es gilt dann:
Satz (Satz von Fubini)
Sei f : ℝ2 → [ − ∞, + ∞ ] eine Lebesgue-integrierbare Funktion.
Für x ∈ ℝ sei fx : ℝ → [ − ∞, + ∞ ] die Funktion mit fx(y) = f(x, y) für alle y.
Weiter sei N = { x ∈ ℝ | fx ist nicht Lebesgue-integrierbar }.
Dann gilt:
(a) | N ∈ ℒ und λ(N) = 0. |
(b) | g : ℝ → ℝ ist Lebesgue-integrierbar und Lλ2(f) = Lλ(g), wobei g(x) = Lλ(fx) für x ∈ ℝ − N und g(x) = 0 für x ∈ N ist. |
In Integralschreibweise (und „modulo Nullmenge“) lautet die Identität der Integrale suggestiv:
∫ f(x, y) dλ2(x, y) = ∫ ∫ fx(y) dλ(y)dλ(x).
Hieraus erhält man die bekannte Vertauschungsregel für doppelte Integrationen, da Lλ2(f) = Lλ2(h), mit h(x, y) = f(y, x) für alle x, y ∈ ℝ.
Weiter erhalten wir aus dem Satz von Fubini:
Korollar
Sei P ∈ ℒ2, und sei Px = { y ∈ ℝ | (x, y) ∈ P } für x ∈ ℝ.
Dann sind äquivalent:
(i) | λ2(P) = 0. |
(ii) | λ({ x ∈ ℝ | Px ∉ ℒ oder λ(Px) ≠ 0 }) = 0. |
Der Satz von Fubini beinhaltet die geometrische Bedeutung des Integrals. Sei nämlich g : dom(g) → [ 0, ∞ ] eine integrierbare Funktion mit Flächenmenge
A = { (x, y) | x ∈ dom(g), 0 ≤ y < g(x) }.
Wir betrachten f = indA : ℝ2 → ℝ. Dann ist fx = ind[ 0, g(x) [ für alle x ∈ ℝ. Jedes fx ist Lebesgue-integrierbar mit L(fx) = g(x). Nach dem Satz von Fubini ist also
Lλ2(f) = Lλ(g).
Aber Lλ2(f) = Lλ2(indA) = λ2(A). Damit ist das Lebesgue-Integral von g also das Lebesgue-Maß der Flächenmenge A.