Regularitätseigenschaften analytischer Mengen

 Wir zeigen, dass die analytischen Teilmengen in polnischen Räumen die Scheeffer-Eigenschaft besitzen und Baire- und Lebesgue-messbar sind. Für die Messbarkeitsbegriffe erhalten wir de facto sogar ein stärkeres Ergebnis.

 Wir beginnen mit der Scheeffer-Eigenschaft.

Satz (Scheeffer-Eigenschaft für analytische Mengen)

Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein polnischer Raum, und sei A ⊆ X analytisch in 𝒳.

Dann hat A die Scheeffer-Eigenschaft.

Beweis

Sei A überabzählbar. Wir zeigen, dass A eine Kopie von 𝒞 enthält.

Sei g : 𝒩  X stetig mit A = rng(g). Wir setzen:

T  =  { s  ∈  Seq | g″Ns ist überabzählbar }.

Wegen g″Ns ⊆ g″Nt für alle s, t  ∈  Seq mit t ≤ s ist T ein Baum.

Für alle s  ∈  T ist g″Ns = ⋃i  ∈   g″Nsi überabzählbar, also existiert ein i  ∈   mit g″Nsi überabzählbar, d. h. si  ∈  T. Also ist T blattfrei.

Für alle s  ∈  T ist g″[ Ts ] = g″([ T ] ∩ Ns) überabzählbar, denn M = ⋃s  ∈  Seq − T g″Ns ist abzählbar und g″[ Ts ] ⊇ g″Ns − M.

Für alle s  ∈  T existieren zudem s0, s1  ∈  T mit:

(+)  s  <  s0, s1  und  g″[ Ts0 ] ∩ g″[ Ts1 ]  =  ∅.

Beweis von (+)

Wegen g″[ Ts ] überabzählbar existieren f0, f1  ∈  [ Ts ] mit g(f0) ≠ g(f1).

Seien U0, U1 offen in X mit g(f0)  ∈  U0, g(f1)  ∈  U1 und U0 ∩ U1 = ∅.

Wegen g|[ T ] : [ T ]  X stetig existieren s0 < f0 und s1 < f1 mit g″[ Ts0 ] ⊆ U0 und g″[ Ts1 ] ⊆ U1. Dann sind s0 und s1 wie gewünscht.

Mit (+) können wir dann aber rekursiv 〈 st | t  ∈  Seq2 〉 definieren, sodass für alle t  ∈  Seq2 gilt:

(i)

s〈   〉  =  ∅,

(ii)

st  ∈  T,

(iii)

st  <  st0, st1,

(iv)

g″[ Tst0 ]  ∩  g″[ Tst1 ]  =  ∅.

Sei S = { s  ∈  T | s ≤ st für ein t  ∈  Seq2 }.

Dann ist [ S ] ⊆ 𝒩 homöomorph zu 𝒞. Wir setzen P = g″ [ S ].

Wegen (iv) ist g|[ S ] injektiv. Wegen g stetig ist also P ⊆ A nichtleer und perfekt in 𝒳 (und eine Kopie von 𝒞).

 Damit ist das Kontinuumsproblem für die analytischen Mengen und insbesondere für die Borelmengen gelöst: Jede überabzählbare analytische Teilmenge eines polnischen Raumes hat die Mächtigkeit 2ω der reellen Zahlen.

 Obiger Satz über die Scheeffer-Eigenschaft ist innerhalb der klassischen Axiomatik ZFC bestmöglich: In Gödels L existiert eine überabzählbare koanalytische Menge, die keine nichtleere perfekte Teilmenge besitzt. Damit kann man auch nicht zeigen, dass die Mengen mit der Scheeffer-Eigenschaft abgeschlossen unter Komplementbildung sind.

 Die Baire-Eigenschaft und die Messbarkeit für Borel-Maße behandeln wir in einem Zug. Entscheidend ist folgende von Marczewski entdeckte Bedingung, die garantiert, dass eine σ-Algebra abgeschlossen unter der Suslin-Operation ist:

Definition (überdeckende σ-Algebren)

Sei X eine Menge, und sei 𝒜 eine σ-Algebra auf X.

Ein A  ∈  𝒜 heißt eine Überdeckung eines P ⊆ X bzgl. 𝒜, falls gilt:

(i)

P  ⊆  A,

(ii)

für alle B  ∈  𝒜 mit P ⊆ B ⊆ A ist (A − B) ⊆ 𝒜.

𝒜 heißt überdeckend, falls alle P ⊆ X eine Überdeckung A  ∈  𝒜 besitzen.

 Diese Bedingung, die scheinbar nichts mit der Suslin-Operation zu tun hat, genügt für folgenden allgemeinen Satz:

Satz (überdeckende σ-Algebren sind abgeschlossen unter der Suslin-Operation)

Sei X eine Menge, und sei 𝒜 eine überdeckende σ-Algebra auf X.

Dann ist 𝒜Su ⊆ 𝒜.

Beweis

Sei 〈 Ps | s  ∈  Seq 〉 eine Folge in 𝒜 mit Ps ⊆ Pt für alle s ≥ t, und sei

A  =  ⋃f  ∈  𝒩n  ∈   Pf|n.

Für s  ∈  Seq definieren wir Rs ⊆ Ps durch:

Rs  =  ⋃f  ∈  𝒩, s < fn  ∈   Pf|n.

Dann gilt R〈   〉 = A und Rs = ⋃i  ∈   Rsi für alle s  ∈  Seq.

Für alle s  ∈  Seq sei R+s  ∈  𝒜 eine Überdeckung von Rs bzgl. 𝒜 mit:

(a)R+si  ⊆  R+s für alle s  ∈  Seq und i  ∈  ,
(b)Rs  ⊆  R+s  ⊆  Ps für alle s  ∈  Seq.

Wir setzen:

Qs =  R+s  −  ⋃i  ∈   R+si  für s  ∈  Seq und weiter
Q =  ⋃s  ∈  Seq Qs.

Dann ist (Qs) ⊆ 𝒜 für alle s  ∈  Seq, denn Rs ⊆ ⋃i  ∈   R+si   ∈  𝒜.

Wegen 𝒜 σ-Algebra ist folglich auch (Q) ⊆ 𝒜. Weiter gilt:

(+)  R+〈   〉 − Q  ⊆  R〈   〉.

Beweis von (+)

Sei x  ∈  R+〈   〉 mit x  ∉  Q. Wir können dann rekursiv ein f  ∈  𝒩 definieren mit:

x  ∈  R+f|n für alle n  ∈  .

Denn x  ∈  R+〈   〉 nach Voraussetzung, und für den Rekursionsschritt gilt:

Ist x  ∈  R+s, so ist x  ∈  R+si für ein i  ∈  , da sonst x  ∈  Qs ⊆ Q.

Dann ist aber x  ∈  ⋂n  ∈   R+f|n ⊆ ⋂n  ∈   Pf|n ⊆ R〈   〉.

Nach (+) ist R+〈   〉 − R〈   〉 ⊆ Q und wegen (Q) ⊆ 𝒜 gilt dann:

A  =  R〈   〉  =  R+〈   〉  −  (R+〈   〉  −  R〈   〉)  ∈  𝒜.

 Die beiden folgenden Sätze zeigen, dass unsere Standardbeispiele für reichhaltige σ-Algebren überdeckend sind:

Satz (Überdeckungseigenschaft für die Mengen mit der Baire-Eigenschaft)

Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein polnischer Raum.

Dann ist Baire(𝒳) überdeckend.

Beweis

Sei 𝒰′ eine abzählbare Basis von 𝒰. Sei P ⊆ X, und sei

V  =  ⋃ { U  ∈  𝒰′ | U − (X − P) ist mager }  =  ⋃ { U  ∈  𝒰′ | U ∩ P ist mager }

der kanonische Bairesche Messversuch für X − P bzgl. 𝒰′ (vgl. Kapitel 5).

Dann ist V − (X − P) = V ∩ P mager, also ist

A  =  (X − V)  ∪  P  =  (X − V)  ∪  (V ∩ P)   ∈  Baire(𝒳).

A ist eine Überdeckung von P: Denn sei B  ∈  Baire(𝒳) mit P ⊆ B ⊆ A.

Dann ist A − B ⊆ (X − P) und (A − B) ∩ V = ∅, also A − B mager, und folglich (A − B) ⊆ Baire(𝒳).

Denn sei U  ∈  𝒰′ mit U Δ (A − B) mager. Dann ist insbesondere U ∩ P mager, also U ⊆ V, also U ∩ (A − B) = ∅. Dann ist aber U = ∅. Also ist A − B mager.

Satz (Überdeckungseigenschaft für messbare Mengen)

Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein polnischer Raum, und sei μ ein Borel-Maß auf 𝒳. Sei 𝒜(μ) = { P ⊆ X | P ist μ-messbar } die σ-Algebra der Vervollständigung von (𝒳) bzgl. μ.

Dann ist 𝒜(μ) überdeckend.

Beweis

Durch Skalierung von μ (ohne Veränderung der μ-messbaren Mengen) können wir o. E. annehmen, dass μ(X) < ∞.

Sei P ⊆ X, und sei

μ*(P)  =  inf({ μ(B) | B  ∈  (𝒳), P ⊆ B }).

Sei A  ∈  (𝒳) mit P ⊆ A und μ*(A) = μ(A).

Dann ist A  ∈  𝒜(μ) eine Überdeckung von P bzgl. 𝒜(μ):

Denn für B  ∈  𝒜(μ) mit P ⊆ B ⊆ A ist μ(A − B) = 0 (wegen μ(A) < ∞), also (A − B) ⊆ 𝒜(μ).

 Damit haben wir über den Umfang der Baire-Eigenschaft und der universell messbaren Mengen gezeigt:

Korollar (Umfang der Baire-Eigenschaft und der universell messbaren Mengen)

Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein polnischer Raum. Dann sind die Teilmengen von X mit der Baire-Eigenschaft abgeschlossen unter der Suslin-Operation.

Ebenso sind die universell messbaren Teilmengen von X abgeschlossen unter der Suslin-Operation.

Insbesondere haben alle analytischen Teilmengen von X die Baire-Eigenschaft und sind universell messbar.

 Wir setzen schließlich noch:

Definition (C-Mengen)

Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein polnischer Raum. Dann setzen wir:

C(𝒳)  =  ⋂ { 𝒜 | 𝒜 ⊇ 𝒰 ist eine σ-Algebra mit 𝒜Su ⊆ 𝒜 }.

Die Elemente von C(𝒳) heißen C-Mengen in 𝒳.

 C(𝒳) ist also die kleinste Erweiterung der Borel-Mengen von 𝒳, die abgeschlossen unter der Suslin-Operation ist.

 Alle C-Mengen haben nach dem Korollar die Baire-Eigenschaft und sind universell messbar. Mit Hilfe universeller Mengen kann man für alle überabzählbaren polnischen Räume die folgenden echten Inklusionen beweisen:

σ({ A ⊆ X | A ist analytisch })  ⊂  { A ⊆ X | A ist koanalytisch }Su  ⊂  C(𝒳),

wobei die linke Menge die von den analytischen Mengen erzeugte σ-Algebra ist. Punktklassen, die noch umfangreicher als die C-Mengen sind, werden wir nun in den projektiven Mengen kennen lernen.